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Writer's pictureAudax Records

„Es funkte auf Anhieb menschlich und musikalisch.“

Das Mariani Klavierquartett über symphonische Dichte bei Brahms und schlanke Klarheit bei Gernsheim. Zusammen mit Audax-Produzent Johannes Pramsohler werfen sie einen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit an der Fortsetzung der preisgekrönten Serie. Ein Gespräch über die wundersame Welt intensiv gelebter Kammermusik.


Johannes Pramsohler: Wie ist das eigentlich mit dem Leadership in eurem Ensemble? Gibt es jemanden, der oder die mehr „anführt“ als andere oder teilt ihr das untereinander auf? Wie arbeitet ihr daran?


Barbara Buntrock: Für mich zeichnet sich gutes Kammermusikspiel dadurch aus, dass jeder sowohl führt als auch folgt. Das ist im Idealfall ein ständiges Wechselspiel, welches sich unter anderem an der Partitur orientiert.


Gerhard Vielhaber: Da gibt es keine Hierarchie während der Proben: Jeder von uns sagt, was er denkt – und tut das auch. Durch die entstehenden Diskussionen entwickelt sich dann unsere Interpretation des jeweiligen Werkes. Es ist aber nie ein Kompromiss, der dabei entsteht, sondern das Ergebnis intensiven Experimentierens!


Philipp Bohnen: Und auch organisatorisch ist es zu viert sehr gut möglich, alle entscheidenden Fragen gleichberechtigt und demokratisch zu fällen. Wir besprechen unsere Visionen, Wünsche und Programme und schauen dann, worauf wir alle Zeit und Lust haben. Das ist toll, denn wir ergänzen uns eigentlich sehr gut und sind auch alle Vier begeisterungsfähige Menschen.

Und musikalisch muss ich Barbara und Gerhard recht geben. Wir versuchen eigentlich immer, die Partitur entscheiden zu lassen. Mich persönlich fasziniert aber auch die Psychologie in unserem Ensemble. Wenn es eine Passage gibt, in der ich an der Geige die Melodie spiele und es ist ganz klar, dass ich durch die Gestaltung der Melodie auch die Nebenstimmen sehr mitbestimme, sage ich manchmal in der Probe: „Leute, am liebsten würde ich hier von Euch getragen werden. Spielt ihr mal mehr die Melodie in Euren Nebenstimmen.“ Wenn wir die besagte Passage dann wiederholen, hat sich an Balancen oder Timinig messbar nichts geändert und doch entsteht ein komplett anderer Klang. Ich liebe es, dann so getragen zu werden. Mein Klang ist sofort freier, die Nebenstimmen noch wacher und klanglich verschmelzen wir dann wirklich komplett ineinander.


JP: Also wenn Du jetzt von “Nebenstimmen” sprichst, wird eigentlich klar, dass Du die “Hauptstimme” spielst. (lacht) Wer gibt denn den ersten Einsatz im Konzert? Gibt es da einen, der entscheidet: Jetzt geht’s los, oder fühlt ihr gemeinsam, wenn der Moment gekommen ist?


PB: Da sind wir inzwischen so zusammengewachsen, dass wir das eigentlich gar nicht mehr merken. Aber klar, natürlich sind Partituren oft in Haupt- und Nebenstimmen „unterteilt“. Aber das heißt ja nicht, dass die Hauptstimme immer führt. Wir spielen alles immer gemeinsam, hören uns zu und empfinden im Kollektiv.


JP: Könnt ihr Euch noch an euer erstes Konzert erinnern?


Peter Philipp Staemmler: Unser erstes gemeinsames Konzert haben wir im Stubenhaus in Staufen gespielt. Direkt im Anschluss folgten Konzerte bei dem Festival Hagnauer Klassik am Bodensee. Dieses Festival und dieses Konzert waren also unsere Initialzündungen. Und wiederum gefühlt gleich danach begann unsere Vorbereitung für den Deutschen Musikwettbewerb. Unsere Anfangszeit war also gleich sehr intensiv. Aber von Anfang an hat es sehr, sehr gut geklappt.


GV: Es gibt Dinge, die vergisst man nicht, obwohl sie 13 Jahre her sind. Für eben dieses Festival am Bodensee, die Hagnauer Klassik, hatte mich ein Veranstalter angefragt, ein Ensemble zu gründen, am liebsten ein Klavierquintett. Aus logistischen Gründen konnte ich ihn überreden, ein KlavierQUARTETT zusammenzustellen – und Barbara, Philipp und Pelle, die ich jeweils aus anderen Kammermusikprojekten gut kannte, haben zum Glück sofort zugesagt. Und vom ersten musikalischen Moment an wussten wir, dass wir die nächsten 200 Jahre zusammen Musik machen wollten.


BB: Auch in meiner Erinnerung ist hängengeblieben, dass irgendwie sofort ab der ersten Probe klar war, dass wir gut zueinander passen. Der Ensembleklang und die Intonation haben sich sofort gut gemischt, ohne dass wir viel daran proben mussten. Das war für mich ein großes Glücksgefühl. Und menschlich passt es bei uns ja auch ganz gut…


PB: Ich erinnere mich an Auszüge auf und auch hinter der Bühne noch immer sehr genau, aber vor allen Dingen auch an das Gefühl, welches von Anfang an zwischen uns herrschte. Dieser Freude am gemeinsamen Musizieren. Und das in so toller Atmosphäre. Mit Gerhard war ich schon viele Jahre befreundet und mit Barbara und Pelle funkte es auf Anhieb menschlich und musikalisch.



JP: Warum fiel für euer erstes Audax-Projekt die Entscheidung, Gernsheim mit Brahms zu kombinieren und nicht zwei getrennte Projekte zu machen?


PB: Weil du es dann nicht genommen hättest. (lacht)


GV: Es sind Werke, die unheimlich gut zusammen passen! Ein reines Brahms-Projekt wäre eventuell etwas „dick“: Die Gernsheim-Quartette sind etwas schlanker im Gesamtklang und auch ein wenig kürzer. Insofern haben wir diese beiden befreundeten und musikalisch Verwandten, aber doch unterschiedlichen Komponisten in diesem „Menü“ einander gegenübergestellt. Zwei gleichwertige, aber doch kontrastierende „Hauptgänge“.


BB: Wir fanden es alle immer wichtig, sowohl die „Klassiker“ des Repertoires mit weniger bekannten Werken in unseren Konzert- und eben auch CD-Programmen zu mischen. Nur die „0815“-Werke zu spielen verleiht einem als Ensemble nur in den seltensten Fällen ein musikalisches Gesicht und Relevanz.


PS: Wir haben schon in der Vergangenheit gemerkt, dass uns diese Mischung aus den Klassikern und unbekannteren Werken sehr reizt und auch gut tut. Der Blick auf das Unbekannte schärft auch den Blick oder vielmehr das Gehör auf das Bekannte.


PB: Ich würde auch sagen: Die Mischung macht‘s. Wenn man zwei gleichwertige und kontrastierende Hauptwerke miteinander einspielt, dann verwundert es ja nicht, dass die Werke sich gegenseitig beeinflussen. Generell hören wir sehr offen in die Werke beider Komponisten rein. Gibt es Gemeinsamkeiten? Wo liegen die Unterschiede? Aber natürlich ist es spannend in dieser romantischen Epoche und bei diesen beiden Freunden zu verweilen. Denn der Gernsheim gewinnt durch diese direkte Gegenüberstellung bestimmt an Dichte und Tiefe und das A-Dur Klavierquartett von Brahms gewinnt in dieser Konstellation vielleicht ein bisschen an Klarheit. Aber das Schöne ist ja: Das darf auch jeder anders hören. Jeder von uns vieren und auch jeder, der später diese Aufnahme hört.



JP: Gerhard, oft werden Klavierquartette ja fast wie Klavierkonzerte behandelt. Ich finde, du hast da mit deinen Mariani-Kollegen eine ganz eigene Herangehensweise…


BB: Da hat er bei uns keine Wahl.

(alle lachen)

PB: … keine Sorge, die Beiden sind immer so, das ist ganz normal …


GV: In der Tat sind die Notenausgaben, die ich auf die Bühne schleppe, ein paar Kilo schwerer als die Instrumente der drei anderen… Aber Spaß beiseite: Die Menge der Töne macht nicht die Wichtigkeit einer Stimme aus. Gerade bei diesen romantischen Klavierquartetten von Gernsheim und Brahms habe ich im Klavier häufig die Funktion des „Bühnenbilds“, der Atmosphäre, des „kosmischen Hintergrundrauschens“, während die intensiven oder betörenden Melodien in den Streichern liegen. Wir versuchen gemeinsam, einen homogenen Klang zu finden. Wir wollen alle vier kein Klavierkonzert erschaffen, sondern je nach Stelle eine Sinfonie, ein Kunstlied, einen Volkstanz, einen gregorianischen Gesang…


JP: Wie unterscheiden sich die Klavierparts von Gernsheim und Brahms?


GV: Beide Komponisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie wirklich die Seele der Musik direkt „in die Tasten“ schreiben, die Klavierstimmen liegen sehr gut – wenn auch bei allen sechs Klavierquartetten der beiden extrem viel zu tun ist. Aber das Ergebnis „klingt“ sofort – sogar ohne die Streicher! Wie schon eben gesagt, Gernsheim ist weniger vollgriffig, dafür aber an vielen Stellen etwas flotter in den „kleinen Noten“. Bei Brahms denke ich häufig: „Das ist ein Streicherklang, das ist ein Posaunenchoral“ usw. Bei Gernsheim gibt es häufig Stellen, wo ich denke: Das MUSS nach Klavier klingen.


PS: Also von außen würde ich das sehr ähnlich beschreiben. Bei Brahms fühlt es sich noch symphonischer, noch dichter, tiefer an. Das macht die Musik von Johannes Brahms ja so unverwechselbar und groß. So mehrdimensional.



JP: Wer war denn dieser Gernsheim? Bzw. warum kennt man ihn heute nicht mehr?


GV: Da übergebe ich an Philipp, er ist Gernsheims Biograph – obwohl Barbara ihn für uns entdeckt hat.


PB: Es gibt tatsächlich glücklicherweise noch erhaltene Briefe, die Johannes Brahms an Friedrich Gernsheim schrieb. Wie und wo genau sie sich kennenlernten ist nicht ganz klar, aber es ist Brahms’ Werk „Ein deutsches Requiem“ zu verdanken, dass sich aus dieser Beziehung eine Freundschaft entwickelte. Denn Friedrich Gernsheim war Chorleiter verschiedener Chorvereine im Köln-Bonner Raum und setzte das Requiem immer wieder aufs Programm.

Zuerst bat Brahms Gernsheim dann in seinen Briefen um Programmhefte, in späteren Briefen bedankte er sich für die fantastische Arbeit, die Gernsheim an seinem Werke vollbracht hatte. Es ist schön zu sehen, wie die Anschrift der Briefe sich ändert. Vor einem gemeinsamen Treffen in Wien schreibt Brahms Gernsheim mit „Sehr geehrter Herr“ an. Nach der gemeinsam erlebten Zeit in Wien beginnen die Briefe (oder dann vielmehr Postkarten) mit „Lieber Freund“.


PS: Und der Grund, warum wir ihn erst ganz langsam wieder auf europäischen Bühnen hören ist der, dass Friedrich Gernsheim einer großen, jüdischen Familie aus Worms entsprang. Die Nazis haben dafür gesorgt, dass Gernsheims Musik komplett aus dem Konzertleben verschwand. Und leider sollte sich dieser Zustand sehr lange halten. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich das ändert.



JP: Ich hatte ja das Glück, bei dieser zweiten Aufnahme dabei zu sein und fand besonders den Prozess eurer Klangeinstellung faszinierend. Nach was habt ihr da eigentlich mit der Tonmeisterin gesucht? Ich kann mich erinnern, dass Marie so nahe wie möglich an den (für mich sehr tollen) Klang der ersten, mit Preisen bedachten Aufnahme rankommen wollte. Irgendwann meinte Gerhard aber, dass es doch gar nicht schlimm wäre, wenn ihr noch was Besseres finden würdet.


GV: Habe ich „besser“ gesagt? (lacht) Ich denke, man darf für jedes Werk die jeweils passende Einstellung suchen. Wichtig ist mir als Pianist dabei, dass die Balance ausgewogen ist. Ich will im Forte nicht „vorsichtig“ spielen müssen, aber dennoch jede pianissimo-Note hörbar machen.


BB: Die Einstellung von der ersten CD hat tatsächlich irgendwie für das Programm der Zweiten nicht mehr gepasst. Vielleicht sind es die unterschiedlichen Tonarten oder Charaktere der beiden Brahms Quartette, die letztendlich eine unterschiedliche Behandlung brauchten.


PB: Ich weiß noch, wie viele Steine mir vom Herzen fielen, als Marie hier bei Vol.2 plötzlich auf die Idee kam, mich mit einem anderen Mikro aufzunehmen. Die Klangeinstellung von Vol.1 hat einfach dann doch nicht zu 100% gepasst. Und plötzlich, mit diesem anderen Mikro, schwang die Geige plötzlich viel freier, was für das A-Dur Quartett einfach immens wichtig ist.


JP: Aha, es lag also am Mikrophon für die “Hauptstimme”.

(alle lachen)


PS: Man entwickelt sich ja auch als Ensemble weiter. Unsere Klangvorstellung hat sich vielleicht auch minimal geändert. Allerdings ohne, dass wir dies irgendwie thematisiert hätten.


PB: Aber das ist das Tolle daran, wenn man mit so super Leuten zusammenarbeitet. Alles, was wir machen ist ja zu formulieren wie wir uns selber hören, was auch manchmal gar nicht so einfach ist. Und Marie und ihr Team übersetzen das in die technischen Umsetzungen. Ich liebe diese Arten des Teamwork.


JP: Und zum Abschluss: Worauf dürfen wir uns bei Vol.3 freuen?


PS: Das bleibt natürlich ein Geheimnis! (lacht)


GV: Dem strahlenden Es-Dur-Klavierquartett Gernsheims stellen wir Brahms c-Moll Op. 60, sein tragisches „Werther-Quartett“ gegenüber…


PB: …vielleicht auf eine weitere, etwas anderen Klangeinstellung? Vielleicht auf ein noch mehr ineinander gewachsenes Mariani Klavierquartett. Vielleicht auch auf eine weitere, neue hörbare Facette dieser beiden tollen Komponisten. Aber vor allen Dingen: Auf mitreißende Musik.


BB: Ich weiß auf jeden Fall schon jetzt, dass ich mich auf jede Probe, auf jedes Konzert und natürlich auf die Aufnahme selber schon wieder sehr freue.

 

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Fotos: © Felix Broede

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